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Rost und Metall

Was für ein abgefahrener Trip war das denn? 2 Stunden lang durfte ich soeben die Zukunftsvision erleben, die George Miller mit seinem neuen Film „Mad Max: Fury Road“ auf die Leinwand gebannt hat. Am Ende steht die Erkenntnis, dass ich wohl Zeuge einer kleinen Revolutionierung des modernen Actionkinos wurde. Denn eins ist klar: Alles, was in Zukunft in der Richtung kommt, muss sich mit dem, was „Mad Max“ hier bietet, messen lassen.

Nach der Apokalypse ist die Erde ein einziges, ödes Land: Trocken, karg und unerbittlich. Treibstoff und Wasser sind Mangelware und um diese wichtigen Ressourcen wüten Kriege zwischen den einzelnen Menschengruppen. Der stoische Einzelgänger und selbsternannte Straßenkrieger Max Rockatansky (Tom Hardy) wird in dieser Welt von dem grausamen Diktator Immortan Joe (Hugh Keays-Byrne) verschleppt. Dies hat zur Folge, dass Max mitbekommt, wie Joe von seiner engen Vertrauten Imperator Furiosa (Charlize Theron) betrogen wird. Diese hat sich vorgenommen, den von Joe als Gebärmaschinen versklavten Harem zu befreien. Kurzerhand schließt sich Max Furiosas Kommando an, verfolgt von einer ganzen Armada von Soldaten, die dem Diktator seine Frauen zurückbringen sollen.

Von Minute 1 an legt Regisseur Miller ein gnadenloses Tempo vor und lässt seinen Film eigentlich zu einer einzigen Verfolgungsjagd ohne Atempause durch die Weiten der Wüste werden. Es kann einfach nur als furios bezeichnet werden, wie willig sich die Inszenierung auf den Wahnsinn der eigenen Geschichte einlässt und diesen konsequent steigert, immer und immer weiter. Die gigantischen Kriegskarosserien werden immer wieder in Hochgeschwindigkeits-Konfrontationen verwickelt, ebenso wie die diese fahrenden Protagonisten. Die Ideen, die George Miller auffährt, um das Geschehen abwechslungsreich zu halten, funktionieren dabei im Kontext des Films absolut hervorragend. Wenn Immortan Joe einen durchgedrehten Musiker eine feuerspeiende E-Gitarre spielen lässt, um sich im Gefecht anzukündigen, passt das einfach – so durchgeknallt es klingt – absolut harmonisch ins Gesamtbild dieser Zukunftsvision. Die Actionszenen sind dabei handgemacht und kommen bis auf ein paar Ausnahmen auch ohne CGI aus. Das merkt man den Film an, den ein dreckiger Realismus beherrscht jede Szene – wenn es rummst, dann spürt man das im Kinosessel, ebenso wie John Seales weitläufigen Bilder die Szenerie der Wüste dem Zuschauer so nah bringen, wie es dem Kino eben nur möglich ist.

Und so steigert sich der Film immer mehr, bis das dramatische Finale dann dem bildgewaltigen Geschehen in Brachialität die Krone aufsetzt und mir als Rezensent  endgültig die Kinnlade runter klappte.

So simpel die Story des Films, so visionär die Inszenierung. Die Darsteller geben sich Millers Fantasie vollkommen hin. Tom Hardy als wortkarger Titelheld besitzt eine unfassbare Leinwandpräsenz, auch ohne viele Worte. Die Show wird ihm allerdings von Charlize Theron gestohlen, die einfach so grandios badass in dieser Rolle ist, dass ich mir jetzt schon ein Spin-Off mit Furiosa sehnlichst herbeisehne.

Das Übrige tut dann der Soundtrack von Junkie XL, der ebenfalls nie zur Ruhe kommt und damit die wilde Stimmung von „Mad Max“ weiter antreibt.

„Fury Road“ ist also ein anarchischer Actiontraum – laut, atemlos, spektakulär und nur so strotzend vor Selbstbewusstsein. Ein Erlebnis nicht für jedermann, aber eins, bei dem man auf jeden Fall einen Blick riskieren sollte. Der Trailer oben gibt da schon mal einen gelungenen Ersteindruck.

09/10 Punkten (mit Chance auf die Höchstwertung bei Zweitsichtung)

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In Ketten

Wer meinte, zur Geschichte der Sklaverei in den Südstaaten sei filmisch alles gesagt, hat sich getäuscht. Steve McQueen’s Verfilmung von „12 Years a Slave“- den Aufzeichnungen des Sklaven Solomon Northup- ruft die unfassbare Grausamkeit dieser Zeit mit einer Dringlichkeit in Erinnerung, die Ihresgleichen sucht.

Northup ist 1841 Violonist und lebt mit seiner Familie als freier Mann in New York City. Sein Leben ändert sich schlagartig, als er von zwei Verbrechern durch eine List nach Washington gelockt wird und sich anschließend nach einer durchzechten Nacht in Ketten wiederfindet. Seine Papiere sind weg, überall wird er unter dem Namen Platt gelistet und seine Beteuerungen ein freier Bürger zu sein werden mit Tortur erwidert. Ein 12-jähriges Martyrium beginnt, während dem Solomon auf mehreren Plantagen unter unmenschlichen Bedingungen arbeitet…

„12 Years a Slave“ ist ein Mahnmal. Mit unerbittlicher Konsequenz beschreibt Regisseur Steve McQueen Solomon’s Erlebnisse. Die Inszenierung ist dabei der Schlüssel zu der enormen Wirkung, die der Film entfaltet: sie ist zurückgenommen und differenziert. In jeder Einstellung fühlt man McQueen’s Respekt vor der Vorlage. Mit viel Fingerspitzengefühl bewahrt er  seine Verfilmung vor jeglicher Effekthascherei. Diese Nüchternheit sorgt für ein äußerst unangenehmes Filmerlebnis, insbesondere in den Folterszenen. Sie sind langgezogen und starr in ihrem Beobachtungswinkel. McQueen steigert sie immer weiter zu einer erschütterten Intensität und als Zuschauer windet man sich im Kinosessel. Die Augen sollen nicht verschlossen werden vor den grausamen Tatsachen und das macht „12 Years a Slave“ in keiner einzigen Sekunde seiner Laufzeit.

Auch sonst gibt es immer wieder Szenen, in denen Sean Bobbits brilliante Kameraarbeit länger in einem Augenblick verweilt, als üblich und dass nicht nur bei den Folterszenen. Oft sind es die Gesichter der Sklaven, deren Regungen eingefangen, ja beinahe seziert werden. Diese Aufnahmen sind von hoher Bedeutung, denn in ihnen liegt unverfälschtes Mitgefühl und gleichzeitig die Unfassbarkeit der Wahrheit über die Situation, in der sie sich befinden. Bobbits Kinematographie zeigt einerseits immer Gespür für das Wesentliche, andererseits fängt sie die charakteristischen Merkmale der Südstaatenlandschaft (Louisiana-Moos, Sümpfe) ergänzend ein zur Erzeugung einer noch dichteren Atmosphäre. Der Soundtrack tut sein Übriges, bei dem Hans Zimmers Score durch traditionelle Songs begleitet wird, die mehrmals für Gänsehaut sorgen.

Ebenso hingebungsvoll zum Material zeigen sich alle Darsteller. Der Film gehört Chiwetel Ejiofor, der diese schwierige Rolle des Solomon zurückgenommen und subtil spielt. Je mehr Jahre in Gefangenschaft verstreichen, umso mehr muss Solomon Abgestumpftheit vorgeben, obwohl er gleichzeitig versucht nicht abgestumpft zu werden. Diesen inneren Kampf um Würde und den Erhalt der Hoffnung leiht Ejiofor eindrucksvoll ein Gesicht.

In einer wichtigen Nebenrolle begeistert zudem die Newcomerin Lupita Nyong’o. Sie hat zusammen mit Ejiofor einige der schockierendsten Szenen zu stemmen und ist dieser Herausforderung mit einer beachtenswerten Darstellung mehr als gewachsen. Und Michael Fassbender’s Portrait eines diabolischen Plantagenbesitzers vergisst man ebenfalls nicht so schnell.

„12 Years a Slave“ ist filmhistorisch gesehen vielleicht einer der wichtigsten amerikanischen Filme der letzten Jahre – ein kompromissloses, hochemotionales Werk von großer inhaltlicher und cineastischer Relevanz.

10/10 Punkte

Nominiert für 9 Oscars: Bester Film, bester Hauptdarsteller (Chiwetel Ejiofor), beste Nebendarstellerin (Lupita Nyong’o), bester Nebendarsteller (Michael Fassbender), bestes adaptierte Drehbuch, Bestes Szenenbild, Bestes Kostümdesign, bester Schnitt

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Mehr, Mehr, MEHR!

Es geht um Geld an der Wall Street. Um sehr viel Geld. Und für viele Broker geht es besonders darum, möglichst viel von diesem Geld in die eigenen Taschen zu bekommen. Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio) ist einer von Ihnen und steigt innerhalb kürzester Zeit auf in die höchsten Ränge. Er wird süchtig nach der Schnelligkeit, dem Risiko und dem Adrenalin welches hier vorherrscht. Er verliert seine Naivität und lässt sich fallen in einen Strudel aus Dekadenz, Gier und Drogen. In 179 Minuten feuert der legendäre Regisseur Martin Scorsese hier ein Feuerwerk aus Wahnsinn und Verkommenheit ab.

Von Anfang an ist „The Wolf of Wall Street“ vor allem inszenatorisch ein Film, der genauso protzt wie Belfort mit seinem Reichtum. Scorseses langjährige Cutterin Thelma Schoonmaker liefert hier einen genialen Schnitt ab – unfassbar temporeich und doch zu jeder Zeit konzentriert auf das Wesentliche. Und Scorsese steigt ein mit einer wilden Inszenierung, die sich austobt mit Collagen, Zeitlupen, Frame-Verfremdungen und knallbunten Farben. Die immer wilderen Eskapaden seiner Hauptfiguren, die sie in grenzwertige Situationen katapultieren spiegeln sich in den technischen Seiten des Films. Das ist mutig und bemerkenswert, immerhin haben wir hier einen Hollywoodfilm mit großem Budget, der bei Veröffentlichung in den USA den Zensurbehörden Kopfschmerzen bereitet haben dürfte (und leicht gekürzt werden musste, um kein NC-Rating zu bekommen).

Leonardo DiCaprio verkörpert Belfort mit Hingabe und einem genialen komödiantischem Gespür. Und zudem völlig uneitel für einen Star seines Kalibers. Wir sehen wie sich DiCaprio Koks von einem Frauenhintern reinzieht oder sich von einer Domina eine Kerze in den Hintern stecken lässt. In einer unfassbaren Szene relativ spät im Film porträtiert DiCaprio die Folgen einer Betäubungsmittelüberdosis und allein dafür ist die Oscarnominierung (seine 4.), die er für den Film bekommen hat, mehr als verdient.

Belfort will immer mehr. Durch das Auftauchen eines FBI-Agenten (Kyle Chandler) gerät sein Imperium in Gefahr zu stürzen. Auch das will Martin Scorsese zeigen, doch das ist der Teil, wo der Film Federn lässt. „The Wolf of Wall Street“ ist ein typischer Scorsese, der schon immer amerikanische Aufstiegsgeschichten wie kaum jemand anderer verfilmen konnte (man denke hier nur an den brillianten „Casino“). Doch nie wirkte der Schlussteil so hastig abgespult wie hier.

Damit man mich nicht falsch versteht: Es gibt auch in diesem Teil großartige Szenen. Besonders die finale Konfrontation mit Belforts Ehefrau (erst super-sexy, dann differenziert gespielt von Margot Robbie) ist von einer ungemeinen Intensität. Trotzdem wirken die letzten zwanzig Minuten wie eine Pflichtübung und das ist schade.

„The Wolf of Wall Street“ urteilt nicht, sondern lässt die Taten seiner Protagonisten für sich sprechen mit einer wahnwitzigen Collage über eine Welt, in der Profit mehr zählt als alles andere. Scorseses Porträt ist eine exzessive Schilderung der Gier, bitterböse vorgetragen und inszeniert. Der Film beruht auf wahren Begebenheiten. Belfort gibt es wirklich. Und das ist das eigentlich Schockierende.

Nominiert für 5 Oscars: Bester Film, bester Regisseur, bester Hauptdarsteller, bester Nebendarsteller, bestes adaptierte Drehbuch.

8/10 Punkten

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Körperkraft

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Es ist der wohl außergewöhnlichste Liebesfilm der letzten Jahre: Regisseur Jacques Audiard hat mit „Der Geschmack von Rost und Knochen“ einen der meist beachteten Filme des Cannes Film Festivals 2012 abgeliefert.

Ali (Matthias Schoenaerts) ist mit seinem Sohn unterwegs in den Süden Frankreichs. Sie haben nicht viel bei sich, ihr Ziel ist das Haus von Alis Schwester, ein Ort von dem sich Ali Besserung für seine Situation erhofft. Zu seinem Kind hat er eine schwierige Beziehung: Er schwankt andauernd zwischen Zuneigung und Genervt-Sein, Wutausbrüche wechseln sich ab mit Momenten der Fürsorge.

Tatsächlich bekommt Ali aufgrund seiner muskulösen und einschüchternden Erscheinung einen Job als Türsteher bei einer Discothek.  Dort lernt er Stephanie (Marion Cotillard) kennen. Er hilft ihr bei einer Schlägerei, fährt sie nach Hause, doch die Interaktion wirkt kalt und abweisend. Beide gehen wieder ihrer Wege: Ali beginnt, sich an illegalen Straßenkämpfen zu beteiligen, um seine überschüssige Kraft los zu werden. Stephanie arbeitet weiter als Waltrainerin in einem Marineland in der Nähe von Antibes.

Dann jedoch passiert etwas, was alles verändert: Nach einem Unfall während einer Walshow verliert Stephanie beide Unterschenkel. Vorher war sie eine Frau, die gerne ihre Körperlichkeit auslebte, es liebte, in Clubs Aufmerksamkeit zu erwecken. Die neue Situation äußert sich in einer schweren Depression. Sie vereinsamt. Und sucht Kontakt zu Ali.

Sie treffen sich. Alis oft unsensible Art gegenüber Stephanie empfindet sie zuerst als unmöglich, später genießt sie, dass er sie so behandelt wie jeden anderen Menschen in seinem Umfeld auch, ohne Mitleid. Stephanie begleitet ihn zu seinen Straßenkämpfen, fasziniert schaut sie dem brutalen Treiben zu. Beide beginnen eine Affäre, die für beide heilend ist und sie zurück ins Leben führt…

In ausgewaschenen Bildern erzählt Audiard von diesen beiden Menschen und betont immer wieder den körperlichen Aspekt ihrer Partnerschaft: Sei es in den Sexszenen, Alis blutigen Straßenkämpfen oder Stephanies Arbeit mit den Orcas. Es wirkt ungekünstelt und echt, was jede Szene noch einmal in ihrer Wirkung intensiviert. „Der Geschmack von Rost und Knochen“ ist ein Film, der sich traut, alle Seiten seiner Figuren zu zeigen, die guten und die schlechten Eigenschaften, auch wenn das heißt, dass der Zuschauer einige Male auf Distanz zu ihnen bleibt. Das Ergebnis ist jedoch, dass ihre Entwicklung umso glaubhafter erscheint.

Das die schwierige Beziehung zwischen Stephanie und Ali so hervorragend rüberkommt ist dem Spiel der beiden Hauptdarsteller zu verdanken: Oscar-Gewinnerin Marion Cotillard liefert eine beeindruckende Performance ab, furchtlos und uneitel. Die Emotionen ihrer Figur, seelisch und physisch, bringt sie so ungeschönt rüber, dass es einem den Atem stockt. Eine Oscar-Nominierung wäre hier verdient gewesen.

Gleichwertig ist Matthias Schoenaerts, der die wuchtige Präsenz seiner Figur grandios verkörpert und zu jeder Zeit die stillen, verletzten Seiten Alis durch eine subtile Resignation in seinen Augen zum Ausdruck bringt. Man spürt hier, dass er schon viel erlebt hat und bekommt so als Zuschauer eine Ahnung von seiner Vorgeschichte und dass nur durch Schoenaerts Blick.

Desweiteren sei Corinne Masiero zu erwähnen als Alis Schwester, die Opfer seiner impulsiven Art wird und ebenfalls äußerst glaubwürdig spielt.

Die Bilder, die Kameramann Stephané Fontaine für die Geschichte findet, sind von brutaler Schönheit und werden perfekt untermalt von Alexandre Desplats melancholischer Filmmusik. Beide unterstützen das Geschehen ungemein und sorgen für Gänsehautmomente, etwa, wenn Stephanie zum ersten Mal wieder aus sicherer Distanz mit einem Orca arbeitet. Zudem ist die Songauswahl sehr gelungen, mit einem überraschend euphorischen Einsetzen von Katy Perrys „Firework“, Bruce Springsteen’s „State Trooper“ oder dem unter die Haut gehenden „The Wolves“ von Bon Iver in der Schlussszene.

„Der Geschmack von Rost und Knochen“ ist ein äußerst sehenswerter Film geworden, zu dem es zwar manchmal schwierig ist, Zugang zu finden, aber der zu einem Erlebnis wird, wenn man es schafft. Gestemmt von zwei sensationellen Hauptdarstellern und der ambitionierten Regie schafft er eine besondere, intensive Wirkung. Knapp an der Höchstwertung vorbei.

 

09/10 Punkten.

Bildquelle: Wild Bunch Germany

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